Heute hört man oft: "Man ist so alt, wie man sich fühlt". Das soll dann bedeuten: Wenn die Stimmung nur stimmt, ist 50 irgendwie das neue 30. Biologisch stimmt das leider nicht. Ab 30 geht es bergab. Der Prozess ist natürlich. Trotz Diversitätsdebatten scheut man sich häufig, das innerlich anzunehmen.
Frauen, die zu ihrem Alter stehen, werden zum Teil sogar angefeindet - wie die US-Schauspielerin Sarah Jessica Parker aus der Erfolgsserie "Sex and the City". Diese Art des Social Media-Mobbings nennt man "Age Shaming".
Age shaming - das sind verletzende und diskriminierende Äußerungen in Bezug auf das Alter. Das ist mir nicht fremd. So etwas habe ich bereits persönlich erlebt. Allerdings häufiger im Internet, da hier die Hemmschwelle erwiesenermaßen deutlich geringer niedriger ist. Im Internet vergreift man sich schneller im Ton, denn man fühlt sich im Netz oft „anonym".
Alles begann vor 5 Jahren. Da habe ich mich dazu entschlossen, mir meine Naturhaarfarbe herauswachsen zu lassen. Mittlerweile bin ich grau-meliert. Das gefällt mir - und das passt zu mir, war ich mir sicher.
Im Nachgang gesehen, war dies ein "Wendepunkt" in meinem Leben. Es war tatsächlich ein richtig langer Prozess. Die Meinungen in meinem persönlichen Umfeld zu dieser Entscheidung gingen damals stark auseinander. Mein Mann hatte von Anfang an keine Probleme damit . Andere Personen in meinem Umfeld teilweise schon.
Meine Mutter sagte damals zu mir: "Karin! Mach' Dich doch nicht älter, als Du bist!" Daraufhin war meine Antwort: "Ich muss mich aber doch auch nicht jünger machen, als ich bin?" Die Aussage meiner Mutter war eher harmlos und lieb gemeint. Das irritierte mich und machte mich zum ersten Mal nachdenklich. Es ist doch nur (m)eine Haarfarbe ...?
Mit den grau-melierten Haaren fühlte ich mich gut - irgendwie ganz "ich". Eines Tages wurde ein Bild auf Facebook mit einer verletzenden und diskriminierenden Äußerung kommentiert. Gerade ein Bild auf das ich ausgesprochen stolz bin. Es zeigt mich beim Vorführen eines Capes aus der nachhaltigen Modelinie von „Tessy de Nassau“ - der ehemaligen Prinzessin von Luxembourg. Das erste Mal bin ich als grauhaariges Model bei der Luxemburger Fashionweek gebucht worden. Mega stolz war ich da – und dann dieser Kommentar. …
Was macht man in einem solchen Fall?
Mein Tipp: Das Profil checken - das lässt oft schon tief blicken, mit was für einem Menschen es man es zu tun hat. Zumindest bekommt man häufig erste Impressionen und Informationen zu der betreffenden Person. Man kann sehen, was sie postet, gut findet oder man entdeckt gemeinsame Freunde. Im vorliegenden Fall war es ein Mann, den ich nicht persönlich kannte. Er stammte aus der Region. Daraufhin habe ich einen Bekannten kontaktiert, der im gemeinsamen Freundeskreis stand und nachgefragt, was das denn für ein Typ ist. Er hat mir verraten, dass dieser sich gerade in einer schwierigen persönlichen Situation befindet. Deshalb habe ich mich entschlossen, den Kommentar einfach zu löschen und ihn zu blockieren. Damit er nicht erneut kommentieren kann. So etwas ist normalerweise das letzte Mittel für mich.
Eher konfrontiere ich die Person mit ihrem Verhalten und hinterfrage das Ganze. In diesem Fall hielt ich das für das beste Mittel. Anderenfalls hätten er und ich wohl nur noch mehr Aufmerksamkeit in dieser Angelegenheit erhalten – das ist weder für ihn noch für mich hilfreich .. Von einer Meldung beim Anbieter der Plattform habe ich ebenfalls abgesehen.
Nun passieren solche Äußerungen oft auch anonym. Wie geht man in diesem Fall damit um?
Hier bevorzuge ich die direkte Konfrontation, am besten gepaart mit einer Prise Humor. So was wie: „Nanu, wer bist Du denn? Kennen wir uns? 0 Freunde - 0 Follower … hast du dich etwa extra hier angemeldet, um mir einen netten Kommentar zu hinterlassen?“ Daraufhin verschwindet so ein Kommentar erfahrungsgemäß von selbst wieder.
Mittlerweile bin ich seit 30 Jahren im Model Business tätig. Früher waren Models ab 30 Jahren eher am Ende Ihrer Karriere angelangt. Das ist mittlerweile nicht mehr unbedingt der Fall. Gut so!
Im Finale der Misses Deutschland 2017 zu stehen, (S)In(n)fluencerin auf Instagram zu werden und Model Jobs auf Fashionweeks und namhaften Designern zu ergattern - dies alles habe ich tatsächlich erst erreicht, als ich über 40 Jahre alt war.
Da habe ich auch erst verstanden, dass mir vorher z. B. mein Perfektionismus zu sehr im Weg stand. Lange Zeit bin ich eher „mitgeschwommen“ in der Gesellschaft und im Business. Vielleicht war ich bis dahin auch nicht so richtig erfolgreich. Gerade in meinem Beruf sieht man so viele junge schöne Mädchen, die mit Ängsten auf das Alter blicken und mit Anfang 20 oder früher schon alles dafür tun, den Alterungs-Prozess aufzuhalten. In der Modebranche versuchen sich die meisten zu optimieren. Als meine ersten grauen Haare kamen, habe ich ebenfalls versucht, diese mit blonden Strähnchen zu überdecken / zu kaschieren.
2017 durfte ich mit über 40 Jahren als "Misses Rheinland-Pfalz" an der „Misses Deutschland Wahl“ teilnehmen. Für den Bundesentscheid habe ich mich kurzerhand dazu entschlossen, die Haare komplett zu blondieren. Das wirkt jugendlicher, meinte meine Friseurin damals. Das überzeugte mich - hatte ich doch größtenteils Mitbewerberinnen, die meine Töchter hätten sein können. An einer Misses-Wahl kann teilnehmen, wer 1 Kind hat oder verheiratet ist oder älter als 27 Jahre ist. Nach oben hin ist keine Grenze gesetzt. Mein erster Gedanke war – jetzt muss ich mich mit den ganzen Jungen vergleichen und mit ihnen "mithalten".
Im Finale zur "Misses Deutschland" erreichte ich den 4. Platz. Nach der Wahl ging es für mich dann direkt am nächsten Tag weiter zur Fashion Week nach Berlin. Dort war ich 2017 eine ziemliche „Exotin“, denn ich war mit Abstand das älteste Model.
2017 - da gab es noch kein Bestager – Model bei „Germany´s next topmodel, die waren tatsachlich im Jahr 2022 das erste Mal mit am Start. Dort - bei der Fashion Week Berlin -mit dabei sein zu dürfen, das war tatsächlich ein „Wendepunkt“. Da hat es plötzlich bei mir „klick“ gemacht und ich habe gemerkt, das liegt jetzt nicht an den blondierten Haaren, dass ich hier bin, sondern an mir als Person – wie ich auftrete und wie ich auf andere wirke. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, meine sozialen Kontakte, das Selbstwertgefühl - all das.
Und deshalb sollte man versuchen, sich nicht so viel zu vergleichen mit anderen, finde ich.
Der Wechsel auf die grau-melierten Haare, wurde zum Symbol für meinen Neuanfang. Er stand für meine Art "Empowerment" – das war sicherlich gleiche Phänomen, wie wenn sich eine Frau nach einer Trennung die Haare abschneidet. Nur von mir ging es nicht mit der Schere „schnipp-schnapp – Haare ab“, sondern das war ein richtiger Prozess. Äußerlich wie innerlich.
Blond - das war einfach nicht mehr ich selbst.
Vor 30 Jahren hatte ich die Haare auch schon einmal blondiert und habe es geliebt – Das war ein richtiges Lebensgefühl für mich, das allerdings dann auch zur „damaligen Karin“ passte. Ich war so gerne ein blondes, auffälliges „Püppchen“. Besonders das „unterschätzt werden“, das hat mir damals immer richtig gut gefallen. Das ist viel besser als überschätzt zu werden - fand ich. Gerade im Berufsleben sorgte dies auch hin und wieder für richtige Überraschungseffekte. Irgendwann – nach der Geburt der Kinder wechselte ich dann auf von weißblond auf dunkelbraun. Auch ein recht radikaler Schritt. Eine krasse Typveränderung war sichtbar und das ist ein einfacher Weg, um anderen zu zeigen, dass sich etwas geändert hat im Leben.
Der Prozess zu grau-meliert dauerte 5 Jahre
Oft werde ich gefragt, wie lange ich das denn noch machen will - mit dem Modeln. Meine Antwort ist dann: "Solange ich Lust darauf habe. "
Bei Instagram sind zur Zeit die sogenannten "bestager" richtig auf dem Vormarsch. Ich habe hier viele tolle und starke Frauen mit Persönlichkeit kennen lernen dürfen, die unabhängig vom Alter und Äußerlichkeiten einfach "ihr Ding" machen.
Mich interessieren Euere Erfahrungen mit "age shaming". Schreibe mir Deine Erfahrungen in die Kommentare. Das würde mich sehr freuen und es interessiert mich, weil ich mich zur Zeit mit dieser Thematik intensiv beschäftige.
Rückmeldungen
Eine Umfrage auf meiner Instagram-Seite ergab folgendes:
Meinungen und Rückmeldungen von meinen Follower sind unterschiedlich. Was auffällt: viele bezeichnen die Entscheidung, sich zur Naturhaarfarbe zu bekennen sogar als "mutig" und würden es selbst nicht machen. "Mutig" - die Wortwahl finde ich bezeichnend. Warum erfordert es in der heutigen Zeit Mut, sich so anzunehmen, wie man eben ist? Das sollte doch eher ganz selbstverständlich sein. Und nicht Mut erfordern. Das zeigt, dass hier manches aus dem Gleichgewicht geraten ist. Denn auch extremer Jugendheitswahn zum Beispiel kann den Alterungsprozess letzendlich nicht aufhalten.
Auffallend ist auch, dass Männer weniger betroffen sind. Graue Schläfen gelten hier eher als „interessant“ und „sexy“. Es haben allerdings auch Männer in der Storyumfrage angegeben, dass sie Erfahrungen mit Age-Shaming haben.
Den Post habe ich heute morgen erstellt – es sind bereits 172 Kommentare zu lesen. Desweiteren habe ich viele PN- zuschriften erhalten, von Frauen, die sich nicht öffentlich äußern wollten, aber mir dennoch ihre eigenen Erfahrungen mitteilen wollten. Irritierenderweise ist der sogenannte „granny-look“ also grau gefärbte Haare bei Jugendlichen und jungen Frauen zur Zeit top aktuell. In meinem Alter, wäre es nätürlich – und hier ist es umstritten. Das ist doch ziemlich paradox, oder?
Bei der Story- Umfrage stimmten bisher 47 % mit „Ja“, also dass sie bereits Erfahrungen mit Age – Shaming gemacht haben.
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